Für meinen Nachbarn Jürgen bin ich ja seit einigen Jahren die Kummerkastentante, wenn es ums #Neuland geht. Das ist in Ordnung so und nicht selten auch ein bisschen amüsant. So auch in diesem Fall. Ich hatte für Jürgen eine Paketsendung angenommen, die er am Abend bei uns abholte.
Als er auf den Absender der Sendung guckte, rollte er mit Augen und stöhnte demonstrativ. Ich fragte, was denn los sei und er sagte mir mit deutlich genervtem Tonfall, dass seine Frau mal wieder ein neues Hobby habe. Und dieses Mal sei es besonders schlimm, denn das Internet sei voll mit Krimskrams und Videos und Zeugs, sodass sie ständig irgendwas Neues bestelle.
Ich wunderte mich, was das für ein spannendes Hobby sein könnte, dass das ganze Internet plus Youtube voll davon zu sein schien. – Aber Jürgens Erklärung brachte Ernüchterung. Seine Frau wollte eigentlich nur ein paar Wintermützen stricken. (Es ging also ums Stricken, aha.) Doch dann las sie bei Twitter was von „Fair Isle“ (Machen Sie ruhig mal ein Bildersuche mit diesem Begriff, dann werden Sie sehen, was das ist.), suchte im Internet danach und tauchte dann plötzlich ganz tief in das Onlinestrickuniversum ab.
Sie guckte stundenlang Youtube-Strickanleitungen, sammelte auf Pinterest unendlich viele Strickmuster und Beispiele, durchforstete Onlineshops nach speziellem Zubehör und spezieller Wolle, die sie in Videos und Blogs gesehen hatte, kreierte mithilfe von Excel ihre eigenen Muster, bestellte Bücher mit Mustern und Anleitungen, tauschte sich in Facebook-Gruppen mit anderen Strickenden aus … Jürgen war echt genervt.
„Und weißt du was, Thomas? Das wäre alles nicht passiert, wenn man so wie früher das Stricken von seiner Großmutter lernen würde. Und nicht auf Youtube.“ – Damit verabschiedete Jürgen sich und brachte die neue Wolle zu seiner Frau.