OER (Open Educational Resources = freie Bildungsmaterialien) sind nach einer Definition der Unesco „Lehr-, Lern- und Forschungsressourcen in Form jeden Mediums, digital oder anderweitig, die gemeinfrei sind oder unter einer offenen Lizenz veröffentlicht wurden, welche den kostenlosen Zugang sowie die kostenlose Nutzung, Bearbeitung und Weiterverbreitung durch Andere ohne oder mit geringfügigen Einschränkungen erlaubt. Das Prinzip der offenen Lizenzierung bewegt sich innerhalb des bestehenden Rahmens des Urheberrechts, wie er durch einschlägige internationale Abkommen festgelegt ist, und respektiert die Urheberschaft an einem Werk.” (Was sind Open Educational Resources?, S. 6)
Das Konzept finde ich durchaus spannend, allerdings sehe ich auch einige Schwierigkeiten. Auf den ersten Blick passen „freie Bildungsmaterialien“ natürlich gut zu unserem gesellschaftlichen Anspruch des freien Zugangs zu Bildung. Allerdings bedeutet „frei“ im Falle von OER eben nicht nur ungehindert, sondern auch kostenlos nutzbar, weiterverbreitbar und – je nach Lizenz – bearbeitbar.
Tatsächlich ist es die Möglichkeit der freien Bearbeitung, die mir an dem Konzept nicht umfänglich gefällt. Ich verstehe durchaus den didaktischen Nutzen – die Lernenden nehmen eine aktive und teilnehmende Rolle ein, was das Lernen positiv beeinflusst. Mir gefällt allerdings die Vorstellung nicht nur, dass Materialien, die ich entwickelt und erstellt habe, beliebig verändert und weiterverbreitet werden können ohne ein implementiertes „Sicherheitsnetz“ wie bei Wikipedia. Sicher, ich kann auch einfach eine entsprechende Lizenz für meine Materialien wählen, die eine Bearbeitung ausschließt. Allerdings ist das Prinzip der Bearbeitbarkeit in meiner Wahrnehmung ein wesentlicher Bestandteil des Konzeptes, sodass diesbezüglich bei mir ein leichtes Unbehagen bleibt.
Doch auch die Freigabe zur Nutzung der Materialien ist manchmal gar nicht so einfach zu realisieren. Gerade bei Bild- und Medienelementen, die man nicht so einfach selbst herstellen kann, kommen unter Umständen geschützte Bilder, Filme, Grafiken, Videos zum Einsatz, die von den jeweiligen Urhebern oder Urheberinnen nicht für eine weitere Lizensierung freigegeben werden sind. Und es ist oft auch gar nicht möglich und/oder kostet schlicht Geld. Ganz abgesehen davon, dass auf verwendeten Bildern oder in Videos auch Personen abgebildet sein können, deren Recht am eigenen Bild berücksichtigt werden müsste. – Sämtliche Materialien, die in ein Repositorium (= Sammlung von OER-Materialien) aufgenommen werden sollen, daraufhin zu prüfen, kann unter Umständen sehr aufwendig sein. Und etwaige Rechtsverstöße können sehr unangenehme Folgen haben. Das Ergebnis ist dann, dass viele Materialien einfach nicht ansprechend gestaltet sind.
Hinzu kommt die immer größer werdende Herausforderung, aus dem immer größer werdenden Angebot an freien Bildungsmaterialien die richtige Auswahl zu treffen. Lehrkräfte müssen in der Lage sein, eine Vielzahl von Quellen, Materialien, Angeboten und Informationen (kritisch) zu beurteilen und zu bewerten. Das müssen und mussten sie natürlich schon immer. Doch erscheint es mir leichter, mich zwischen einigen renommierten Verlagen und ihren Angeboten zu entscheiden als zwischen unzähligen Onlineplattformen verschiedenster Betreiber. OER-Materialen zu finden, die von guter Qualität sind, sich in die geplanten Lernprozesse gut integrieren lassen und aus zuverlässigen Quellen stammen, wird in Zukunft sicher eher schwieriger werden als einfacher.
Mein Eindruck ist deshalb: Es ist noch längst nicht ausgemacht, dass OER wirklich das richtige Konzept für das Lernen in der Zukunft ist.