Mein Nachbar Jürgen hatte einen neuen Fernseher gekauft. Und zwar einen, der auch Internet kann. Für mich hieß das natürlich wieder: Support beim Nachbarn. Ich sollte ihm helfen, das Gerät mit dem Internet zu verbinden, und ihm zeigen, wie er dann Mediatheken oder Streamingdienste nutzen kann.
Das war also eine überschaubare Aufgabe, die ich gern übernahm. Es lief auch alles nach Plan, sodass wir schnell beim Thema Streamingdienst waren. Jürgen wusste nicht genau, welchen Dienst er nutzen will, hatte aber von seinem Bruder die Zugangsdaten für dessen Netflix-Account bekommen.
„Aber ist das überhaupt legal, dass ich das mitnutze?“ Jürgen war das nicht ganz geheuer. Deshalb suchten wir uns im Netz die Nutzungsbedingungen von Netflix heraus und guckten nach. Und siehe da: Darin steht nicht, dass man den bezahlten Zugang nicht teilen dürfe. Nur die Anzahl der Geräte, auf denen gleichzeitig geguckt werden kann, ist durch die Art des Abos beschränkt. Ansonsten sprach aber erst einmal nichts dagegen, sich so einen Account mit mehreren Parteien zu teilen.
Mit Jürgen kam ich darüber auf das Thema Sharing und Kultur des Teilens zu sprechen, das ja gerade sehr angesagt war. Jürgen machte sich ein bisschen darüber lustig, dass jetzt alle so tun würden, als wäre das Teilen irgendetwas Neues, bloß weil man es jetzt Sharing nennt. Schon seine Steinzeitmenschen – Sie wissen vielleicht noch, dass Jürgen ein Steinzeitfaible hat. – wussten, welche Vorteile das Teilen hat und wie wichtig es für eine Gemeinschaft ist. Ich brachte noch ein, dass das digitale Teilen nun jedoch etwas andere Dimensionen erreichen würde, weil digitale Güter ja theoretisch unendlich teilbar sind und sich damit das Teilen selbst und die Vorstellung von (digitalem) Besitz vielleicht auch verändern würden.
Während wir so über die Entwicklung des Teilens sprachen, hatten wir nun auch Netflix eingerichtet und starteten den Dienst mit den Zugangsdaten von Jürgens Bruder. Sofort erschienen mehrere Listen mit Filmempfehlungen und mit zuletzt geguckten Filmen und Serien. „Huch, da kann ich ja sehen, was Frank sich angeguckt hat … Und er kann dann sehen, was ich mir angeguckt habe!“ – Jürgen wurde gerade sehr lebendig vor Augen geführt, was digitales Teilen eben auch bedeuten kann: Offenbaren von persönlichen Informationen. Daran hatte er vorher nicht gedacht. Ich riet ihm deshalb zum Abschied, alle Familienangehörigen, die diesen Netflix-Account nutzen würden, ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, dass viele verschiedene Personen Zugriff darauf hätten. Jürgen bedankte sich und wollte gleich mal seinen Bruder anrufen …